Text zur Werkserie de-plaziert

<Text im pdf>

Als ich vor rund einem Jahr das erste Mal die Bilder von Ruth Brauner kennen lernte, stachen mir sofort ihre emotional ausdrucksstarken Köpfe ins Auge.

Bereits in ihrer Diplomarbeit – SCHABLONEN IN KULISSEN 2001-2002 legte sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den Menschen. Ausgehend von den Scheinwelten aus Werbung, Film und Fernsehen, konzentriert sie sich nicht auf die künstliche, fast schon synthetische Schönheit der divenhaften Models oder Schauspielerinnen, sondern sucht nach dem Ausdruck, der sich hinter der Maske verbirgt. "Der verführerische Blick der Hochglanzdiva, das Pokerface des Filmganoven. Gibt es diese Masken nur im Film? Wie gut kenne ich meine Mitmenschen?" so Ruth Brauner. Sie bleibt hier allerdings noch dem traditionellen Gemälde treu.

Nach einer kurzen Pause beginnt sie mit ihrer zweiten großen Serie, KÖPFE UND KÖRPER 2004-2005. Die Körper sind nur skizzenhaft, einfarbig, mit wenigen sicheren Strichen direkt auf die Wand gemalt. Sie werden mit separat auf Leinwand gemalten sehr ausdrucksstarken Köpfen kombiniert. Im optischen Sinne werden die Köpfe bereits von den Körpern getrennt.

2008 entsteht eine dritte große Serie unter dem Namen DE – PLAZIERT. Ruth Brauner greift die Ideen der vorigen Serien wieder auf -die Thematik übernimmt sie aus ihrer Diplomarbeit und die Fortführung des Bildgedankens auf der Wand aus ihrer Serie Köpfe und Körper -verknüpft sie miteinander und geht nun noch einen Schritt weiter. Sie schneidet die Gesichter aus ihren Gemälden heraus und setzt sie in einer völlig neuen Umgebung oder Szenerie wieder zusammen. Sie schafft in einem Akt der Zerstörung etwas Neues und ermöglicht dadurch dem Betrachter einen anderen Blickwinkel.

Die Methoden sind dabei vielfältig: Beispielsweise schneidet sie das Gesicht aus, sowie ein weiteres Element, das der Gesichtsform nachempfunden ist, und setzt die einzelnen Teile gedreht wieder zusammen. Oder sie komponiert die ausgeschnittenen Köpfe verschiedener Bilder in einem anderen Umfeld neu. Sie befestigt sie entweder direkt an der Wand oder in anderen Bildern. Die Gesichter werden dabei ergänzt oder erweitert, zum Beispiel mit dunklen geraden Strichen vom Kopf zum Boden, mit Tränen, die immer größer werdend nach unten fallen, oder mit Spiralen, die aus den Köpfen wachsen. Teilweise werden sie mit rosa gestrichenen alten Rahmen beliebig hervorgehoben. Manchmal stehen die ausgeschnittenen Teile in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Rest, sie werden zum Beispiel spiegelbildlich neben den Rahmen gestellt oder einfach neben das verbliebene Fragment gehängt. Dabei schafft die Künstlerin durch eine räumliche Nähe oder durch eine Schnur, die die Teile miteinander verbindet, eine enge Zusammengehörigkeit zwischen den Elementen.

Ruth Brauner sprengt die begrenzte Bildfläche und bricht aus der reinen Zweidimensionalität in den Raum dahinter aus, indem sie die vorne ausgeschnittenen Gesichter wieder auf der Rückseite des Rahmens befestigt oder ein neues Gesicht auf Papier gemalt dahinter erscheinen lässt. Der Bildgedanke wird auch über die Leinwand hinaus erweitert, die ausgeschnittenen Köpfe weg vom Bild in ein neues Umfeld gesetzt und zusätzliche Bildelemente an der Wand fortgeführt. Die eigentliche Bildgrenze wird somit beliebig ausgedehnt.

"Rahmen: der Inhalt ist mir unterwegs verloren gegangen oder ich habe den Inhalt woanders dringender gebraucht." Die Künstlerin schneidet das Gesicht aus. Was bleibt ist der Rahmen, eine Leere – zunächst. Das so entstandene Fragment bildet den Rahmen, manchmal sogar eine Art Frisur, für ein neues Gesicht.

Dieses zweite Gesicht malt sie mit einer anderen Farbe, meist nur einfarbig, und als Skizze angelegt. Es erscheint wieder -räumlich gesehen -hinter dem Rahmen. Es hebt sich durch Farbigkeit, Maltechnik und Material vom Fragment ab und verdeutlicht so die Differenz zwischen sichtbarem und unentdecktem Wesen.

Wie bereits in Ruth Brauners früheren Serien fokussiert sie auch in den aktuellen Arbeiten auf das menschliche Gesicht. "Der Mensch ist interessant. Am meisten lernt man über ihn, wenn man in sein Gesicht schaut. Dort kann man ihn ergründen -seine Augen verraten die Gedanken." Das Gesicht zeigt Emotionen, es ist das Spiegelbild unserer Gedanken. Aber zwingen uns die Normen unserer Gesellschaft nicht Masken auf? Können wir es uns leisten, dass unsere Gedanken, Hoffnungen und Wünsche sich in unserem Gesicht widerspiegeln? Oft lassen wir nicht zu, dass andere uns erkennen. Tragen wir daher nicht alle eine Maske, ein Pokerface oder eine große Sonnenbrille, obwohl keine Sonne am Himmel steht? Die Künstlerin will den Menschen ohne diese Maske zeigen. "Ich spiele mit den Möglichkeiten & Eventualitäten, die entstehen könnten, wenn die Masken fallen, die Menschen ihre Angepasstheit ablegen und sie selbst werden."

Daher auch die Idee, die Köpfe in Installationen zu variieren. Einige Köpfe werden mit dunklen Strichen, die bis zum Boden reichen, versehen. Sind es Spieße, auf denen die Köpfe präsentiert werden? Sind es die Stangen, auf denen Puppen befestigt sind oder Stäbe mit denen man die Masken hält, wie bei einem Maskenball? Aus einigen Köpfen winden sich rosa Spiralen. Symbolisieren sie die versteckten Gedanken oder Gefühle, vielleicht die hässlichen oder aggressiven, die aus unseren Köpfen entweichen müssen? Nur die Tränen sind eindeutig.

Nicole Uhl, 2008